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Wir sehen bei uns Menschen jeden Alters

10. Januar 2023

Prof. Dr. med. Sabine Adler ist seit letztem Jahr die Chefärztin der Abteilung Rheumatologie und Immunologie im Kantonsspital Aarau. Im Interview räumt sie mit Vorurteilen auf, mit denen sich die Fachdisziplin häufig konfrontiert sieht, und gibt spannende Einblicke in ihr breites Tätigkeitsgebiet.

  • Autor / Autorin KSA
  • Lesedauer ca. 5 Minuten
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Die Rheumatologie kämpft mit dem weit verbreiteten Vorurteil, hauptsächlich typische Alterserkrankungen wie Gicht und Arthritis zu behandeln. Warum ist dieses Vorurteil völlig falsch?

Ein Gelenkrheuma kann bereits in der Kindheit auftreten. Ein von mir mitbetreutes Kind war eineinhalb Jahre alt, als es eine als juvenile idiopathische Arthritis bezeichnete Erkrankung, also ein Gelenkrheuma, entwickelt hat. Der älteste Patient in unserer Poliklinik ist 97 Jahre alt. Wir sehen also Menschen fast jeden Alters bei uns. Viele kennen ein Rheuma aus der Familie – oder meinen zumindest, dass es eines sei. Nach umfassenden Untersuchungen zeigt sich dann oftmals, dass es sich um eine Arthrose handelt, die ein älteres Familienmitglied im Laufe seines Lebens entwickelt hat. Das darf man zwar unter dem Begriff Rheuma subsummieren, aber offiziell gibt es 200 bis 400 verschiedene Arten von Rheuma – je nachdem, wie man zählt ...

Am bekanntesten sind Gelenkrheuma, Gicht, Polymyalgie, Lupus und genetische Erkrankungen wie das familiäre Mittelmeerfieber. Zumeist sind dies Erkrankungen, die aus einer Fehlfunktion des Immunsystems entstehen. Auch das Gelenkrheuma hat seinen Ursprung nicht in den Knochen selbst, sondern in einer immunologischen Problematik. Von daher kommt auch der gemeinsame Fachbereich Rheumatologie und Immunologie. Auf unserer Abteilung sehen wir auch häufig seltene Immunerkrankungen, so paradox das auch klingen mag. Es ist sinnvoll, diese Betroffenen dort zu betreuen, wo man mit dieser Problematik Erfahrung in Diagnostik und Therapie gesammelt und darüber hinaus ein entsprechendes Netzwerk von Expertinnen und Experten im Hintergrund aufgebaut hat.

Wie wird eine rheumatische Erkrankung diagnostiziert oder abgeklärt?

Zunächst einmal hören wir gut zu und untersuchen den oder die Betroffene meist von Kopf bis Fuss. Wir schauen uns alle vorhandenen Vorbefunde und Röntgenbilder an und besprechen dann gemeinsam, welche weiteren Abklärungen es braucht: Das sind meistens Blutentnahmen für spezielle Antikörper, Entzündungswerte und einiges mehr. Ob es weitere Ultraschall-/Röntgenuntersuchungen, andere Zusatzuntersuchungen oder auch weitere Fachkolleginnen oder -kollegen benötigt, ist dann sehr individuell zu definieren.

Welche Fortschritte wurden bei der Behandlung von rheumatischen Erkrankungen in den letzten Jahren gemacht?

War noch zu meiner Anfangszeit in der Rheumatologie die Gabe von Cortison, Goldpräparaten, Schmerzmedikamenten und gelegentlich Methotrexat in Kombination mit einer erweiterten Wassertherapie eine Therapieroutine, so hat sich das Spektrum in den letzten Jahrzehnten bahnbrechend gewandelt. Nach wie vor setzen wir Cortisonpräparate und als Basis Methotrexat ein. Cortisonmedikamente werden dann, soweit möglich und nötig, gegen potentere Mittel ersetzt. Da diese ihre Wirksamkeit jedoch erst über die Zeit entfalten, wenden wir diese Medikamente zunächst oft gleichzeitig an. Die potenteren Mittel wirken sehr zielgerichtet gegen bestimmte Entzündungs-botenstoffe, die ursächlich oder zumindest mitverantwortlich für eine der zahlreichen rheumatologischen Erkrankungen sind. Die bisherige medizinische Entwicklung erlaubt teilweise eine fast punktgenaue Therapie. Aber eben nur teilweise – und nur fast: Hier ist die Forschung weiterhin höchst aktiv, damit wir in naher Zukunft noch zielgerichteter behandeln können. Dennoch können und müssen wir nicht jede Betroffene und jeden Betroffenen mit den «neuen» Medikamenten behandeln. Alles hat eine Wirkung – und eine Nebenwirkung. Dies gilt es, immer individuell abzuwägen. Hier stimmt eben nicht «One size fits all» …

Rheumatische Erkrankungen gelten als unheilbar. Sind in Zukunft bahnbrechende Medikamente oder neue Behandlungsmethoden zu erwarten?

In der Entwicklung neuer Behandlungsmethoden haben viele Faktoren geholfen, die Wissenschaft voranzubringen: zum einen der grosse Bedarf an neuer Therapie – die Zahl der Auto-immunerkrankungen nimmt weltweit zu. Zum anderen erlauben neue Technologien und auch viele neue immunologische Erkenntnisse weltweit tätiger Forscherinnen und Forscher ein besseres Verständnis von Krankheitsentstehung und -entwicklung. Selbst die Pandemie hat hier auf der Ebene der Entzündungsentstehung im Rahmen der Infektion und des weltweiten Teilens von neuen Informationen zu einem grossen Wissenszuwachs geführt. Dies hilft uns nicht nur im Verstehen, sondern auch in der Entwicklung neuer Ansatzpunkte einer Behandlung.

Da wir das gesamte Spektrum der rheumatischen Erkrankungen behandeln, kommen in unserer Abteilung alle Therapien zum Einsatz, die gegenwärtig zugelassen sind. Darüber hinaus sind wir auch dann aktiv, wenn ein Wirkprinzip funktioniert, aber eben noch nicht zugelassen ist. Hier entscheiden die Expertinnen und Experten gemeinsam mit den Patienten über den möglichen Einsatz dieser Medikamente. Danach ersuchen wir um eine ausserordentliche Kostengutsprache, was in vielen Fällen gelingt. Oft diskutieren wir in dieser Situation auch mit weiteren Expertinnen und Experten der mitbeteiligten Fachabteilungen, um ein optimales Therapiekonzept aus verschiedenen Blickwinkeln ermöglichen zu können.

Je früher wir mit einer Behandlung beginnen können, umso grösser ist oft die Wahrscheinlichkeit, eine dauerhaft ruhige Krankheitsphase zu erreichen. Das darf man (noch) nicht Heilung nennen, es geht allerdings sehr stark in diese Richtung. Einige Erkrankungen aus unserem Fachgebiet können zu ei-ner Heilung gelangen. Da es allerdings mindestens 200 verschiedene Rheumaerkrankungen gibt und Menschen unterschiedlich stark davon betroffen sind, ist hier eine generelle Aussage nicht möglich.

Mit welchen medizinischen Disziplinen arbeitet die Abteilung Rheumatologie und Immunologie der Medizinischen Uniklinik im Kantonsspital Aarau eng zusammen?

Wir arbeiten sehr eng mit den Kolleginnen und Kollegen der Immunologie-Labore im KSA zusammen und besprechen auch regelmässig Patientenverläufe. Dies geschieht ebenfalls in interdisziplinären Besprechungen, bei denen bei Bedarf auch andere Fachbereiche mit dabei sind wie die Allgemeine Innere Medizin, Nephrologie, Hämatologie, Neurologie, Wirbelsäulen- und Neurochirurgie und auch die Pädiatrie, wenn es um Betroffene mit Kinder- und Jugendrheuma geht. Zudem sind die Physio- und die Ergotherapie unsere ständigen Partner.

Häufige Gründe für eine Behandlung auf der Abteilung für Rheumatologie und Immunologie

Die Abteilung Rheumatologie und Immunologie der Medizinischen Universitätsklinik am Kantonsspital Aarau behandelt am häufigsten Menschen mit Gelenkrheuma, der sogenannten rheumatoiden Arthritis. Bei diesen Patientinnen und Patienten ist eine jahre- oder lebenslange Begleitung durch die Rheumatologie sinnvoll. Die Behandlungsmöglichkeiten sind in den letzten Jahren nicht nur vielfälti-ger, sondern auch gezielter geworden. Eine frühe Behandlung hilft, damit keine oder zumindest nur wenige Folgeschäden entstehen. Zudem erhält die Abteilung für Rheumatologie und Immunologie viele Zuweisungen zur Abklärung der sogenannten Polymyalgie: teilweise sind es Muskel- und Sehnenbeschwerden, die den Betroffenen weit mehr als Schmerzen verursachen, teilweise sind jedoch auch Entzündungen von grossen Blutgefässen – also eine sogenannte Grossgefässvaskulitis – unterliegend, die leider auch frühzeitig grosse Probleme verursachen kann.

Rheumatologie und Immunologie

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