«Sagen Sie mal Stra-tscha-tella»
3. Mai 2024Nach einem Schlaganfall musste der 72-jährige Jörg S. aus Hunzenschwil (AG) das Gehen, Sprechen, Schreiben und Schlucken wieder erlernen. Michaela Zellweger, seit vier Jahren als dipl. Logopädin am KSA Aarau tätig, half ihm zurück in ein normales Leben.
- Autor / Autorin Michaela Zellweger
- Lesedauer ca. 5 Minuten
- Themen Hirn / Nervensystem
Im Gespräch sprechen Michaela Zellweger, Logopädin am KSA (M.Z.) und Jörg S., Schlaganfall-Patient (J.S.) über die nicht immer einfache, immer wieder von Rückschlägen geprägte therapeutische Arbeit.
M.Z.: Hallo, Herr S.! Wie geht es Ihnen heute?
J.S.: Grüezi Frau Zellweger! Mir geht es prima, danke. Ich bin gerne wieder hier.
M.Z.: Das freut mich zu hören. Wir kennen uns schon eine ganze Weile, fast dreieinhalb Jahre lang. Ihre Fortschritte in unseren Therapiesitzungen waren bemerkenswert. Erinnern Sie sich noch an den Anfang im Oktober 2020, als wir mit der logopädischen Therapie begonnen haben? Damals kamen Sie gerade aus der Reha zurück, nachdem Sie zuvor hier im KSA wegen Ihres Schlaganfalls behandelt wurden. Die Herausforderungen schienen überwältigend: Rechtsseitige Lähmung, Schwierigkeiten beim Sprechen, Schlucken und Schreiben – es war wirklich kein Zuckerschlecken. Einschneidend war sicher auch, dass Sie zeitweise künstlich über eine Sonde ernährt wurden oder dann anfangs nur pürierte Kost schlucken konnten. Mittels einer apparativen Schluckuntersuchung (FEES) konnten wir Ihre Schluckstörung mit Bildern nachweisen und gleich zu Beginn die passenden Schluckübungen zur Verbesserung des Schluckens durchführen.
J.S.: Anfangs war es schwer zu akzeptieren, warum ausgerechnet mir so etwas passieren musste. Ich dachte immer, dass ich gesund und sportlich lebe und hätte nie erwartet, dass mich ein Hirnschlag trifft. Aber ich wusste, was ich wollte, und war fest entschlossen, wieder auf die Beine zu kommen. Meine Partnerin und meine Familie waren dabei meine grösste Unterstützung. Die Probleme mit meiner Sprache und meiner Bewegung haben mich schon belastet. Am weitaus wichtigsten war mir, dass ich trotzdem weiterhin kommunizieren konnte. Darum war es zentral, das Schreiben schnell wieder zu erlernen. Weil ich rechtsseitig gelähmt war und deshalb die rechte Hand nicht tat, was mein Kopf wollte, habe ich gelernt, mit der linken Hand zu schreiben.
M.Z.: Genau, das Schreiben war wirklich Ihre Stärke. Egal, wie schwer es war, Sie konnten fast immer schriftlich kommunizieren. Und jedes Mal, wenn Sie nach einem Rückschlag zu uns kamen, haben wir gemeinsam wieder an Ihrer Genesung gearbeitet. Dank Ihrer Hartnäckigkeit und unseren verschiedenen Therapieansätzen haben wir kontinuierlich Fortschritte gemacht. Heute können wir problemlos über Politik oder über Zeitungsartikel diskutieren. Logisch gibt es auch Sprechblockaden oder Satzabbrüche, aber dafür haben wir verschiedene Lösungsstrategien erarbeitet.
J.S.: Es war schon eine Reise mit vielen Höhen und Tiefen. Aber mit der Unterstützung des interdisziplinären Teams aus der Physiotherapie, Ergotherapie, der Ärzteschaft und der Logopädie sowie dem Rückhalt meiner Partnerin war Aufgeben nie eine Option. Auch zu Hause habe ich viel selbstständig geübt, Übungsblätter bearbeitet, gezeichnet, vorgelesen. Es gibt immer noch Wörter, die ich nicht aussprechen kann, wie zum Beispiel solche mit dem für mich kniffligen «K». Aber ich habe gelernt, damit umzugehen und kreative Lösungen zu finden. Jetzt habe ich mir die Strategie angeeignet, Worte mit «K» durch ein Synonym oder eine Umschreibung zu ersetzen. Das «KSA» wird dann bei mir einfach zum «Spital in Aarau».
M.Z.: Ja, anfangs haben Sie den Buchstaben «K» in Wörtern oft durch einen anderen ersetzt, was das Verständnis erschwerte. So wurde zum Beispiel aus «Kanne», «Manne» oder «Banne». Ihr Bewusstsein für Ihre Einschränkungen war recht ausgeprägt. Aber Sie haben mit der Zeit immer besser gelernt, damit zu leben und versucht, sich auf das Positive zu konzentrieren. Auch die Gruppentherapie hat Ihnen geholfen, sich mit anderen zu vergleichen und eigene Fortschritte zu erkennen. In der Einzel- und der Gruppentherapie wurden Rollenspiele gemacht und wir übten zusammen den Weg zurück in den Alltag. Es ist sehr wichtig, möglichst bald herauszugehen: ins Café oder zum Glacéstand, wo man dann auch schwierige Wörter wie «Stracciatella» aussprechen muss.
J.S.: Mental und verbal bin ich vielleicht etwas langsamer geworden. Dass ich bei Diskussionen am Tisch nicht spontan einen Gedanken einwerfen kann oder mir manchmal die Luft fehlt, um den Satz fertig zu sprechen, beschäftigt mich schon noch. Aber dank der Therapie kann ich heute meinen Gedanken wieder viel besser Ausdruck verleihen.
M.Z.: Genau. Wir haben uns intensiv mit Ihrer Aphasie, Sprechapraxie und Dysarthrie (siehe Box) auseinandergesetzt und sind immer wieder mit neuen Therapieansätzen an die aktuellen Herausforderungen herangegangen. Und jetzt können Sie Ihr Leben wieder ziemlich normal führen – mit Ausflügen, Ferien und Ihrer Arbeit am Früchtestand.
J.S.: Absolut. Auch wieder längere Zeit am Stück in meinem grossen Garten arbeiten zu können, motiviert mich immer aufs Neue. Ich mache mir keine Sorgen über die Zukunft. Um mich zu schützen, nehme ich täglich meine 14 Tabletten und lebe einfach jeden Tag so gut wie möglich. Und wenn ein neuer Anfall kommen sollte, dann werden wir das gemeinsam meistern.
M.Z.: Das klingt nach einem guten Plan. Und vergessen Sie nicht: Auch wenn Sie beim Memory gegen Ihre sieben Enkelkinder verlieren, gewinnen Sie doch immer in unserer Therapie!
Fachwörter und ihre Bedeutung
Aphasie ist eine Sprachstörung, die durch Schädigungen im Gehirn verursacht wird und die Fähigkeit beeinträchtigt, Sprache zu verstehen, zu sprechen, zu lesen oder zu schreiben. Betroffene können Probleme haben, Wörter zu finden, Sätze zu bilden oder sich verbal auszudrücken.
Dysarthrie ist eine Sprechstörung, die durch Probleme mit der Muskulatur oder den Nerven verursacht wird, die für die Sprechbewegungen verantwortlich sind. Dies kann zu undeutlicher oder unkontrollierter Aussprache führen, mit Schwierigkeiten, die richtige Betonung zu setzen.
Dysphagie ist der medizinische Fachbegriff für Schluckstörungen. Es handelt sich um eine Erkrankung, bei der Betroffene Schwierigkeiten haben, Nahrung oder Flüssigkeiten von der Mundhöhle in den Magen zu befördern.
Sprechapraxie ist eine Störung der Sprechmotorik, bei der die Person Schwierigkeiten hat, geplante Sprechbewegungen auszuführen und bestimmte Laute korrekt auszusprechen. Es kommt zu Stockungen im Redefluss, Wiederholungen von Lauten und verlangsamter Sprechgeschwindigkeit.
Nicht nur Kopfsache
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