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Neue Schritte gegen einen mächtigen Gegner

30. August 2023

Jedes Mal, wenn Sabine Gerull mit einer Neudiagnose des seltenen Multiplen Myeloms konfrontiert wird, steht sie vor der Frage, welche Therapie diese unheilbare Erkrankung in Schach halten kann.

  • Autor / Autorin PD Dr. med. Sabine Gerull
  • Lesedauer ca. 5 Minuten
  • Themen Krebs / Onkologie
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Manche ihrer Patienten kennt Sabine Gerull schon seit Jahren. Einige gar schon seit Jahrzehnten. Das liegt daran, dass der von den Plasmazellen des Knochenmarks ausgehende Krebs bis zum Lebensende andauert. Die Prognose für Menschen mit Multiplem Myelom hat sich stetig verbessert.

«Unsere grösste Hoffnung bleibt, dass wir diese Krankheit eines Tages heilen können. Dies könnte möglich sein, wenn sie in einem noch früheren Stadium diagnostiziert und bekämpft werden kann. Bislang können wir das Multiple Myelom aber nur eindämmen.»

Dass die Zahl der neuen Fälle in den letzten zehn Jahren gestiegen ist, lässt sich darauf zurückführen, dass die Menschen immer älter werden und sich die Diagnosemöglichkeiten für diese seltene Krebsart verbessert haben. Es gibt zwar noch keine gezielte Früherkennung, aber «wir suchen jetzt vermehrt nach Myelomen, z. B. bei der Untersuchung auf Polyneuropathie oder Niereninsuffizienz. Dabei können wir bösartige Veränderungen der Plasmazellen früher entdecken», erklärt die stellvertretende Chefärztin.

Unspezifische Symptome

Die Symptome dieser Krebsart bleiben häufig unerkannt – manchmal sind sie unspezifisch, manchmal auch gar nicht spürbar. Oft dauert es Monate bis auf Beschwerden die Diagnose folgt. «Wir werden hellhörig, wenn jemand seit längerem wegen Rückenschmerzen mit unklarer Ursache behandelt wird.» Einige Beschwerden weisen auf die Erkrankung hin, z. B. osteoporotische Frakturen (Knochenfrakturen, die auf Knochenverlust zurückzuführen sind) oder eine Anämie (ein Mangel an Hämoglobin, dem roten Blutfarbstoff).

Wenn sich dann der Verdacht bestätigt, wird Sabine Gerull zur Überbringerin einer schlechten Nachricht. Die Hämatologin ist zu dem Schluss gekommen, dass es keinen Sinn hat, den Befund zu beschönigen. «Es ist wichtig, den Behandlungsplan sofort vorzustellen und zu besprechen.»

Der Krankheitsverlauf variiert stark, und das erschwert die Prognose.

Die von den Betroffenen am häufigsten gestellte Frage ist natürlich, wie lange sie noch zu leben haben und wie sich der Krebs auf diese Zeit auswirken wird. «Der Krankheitsverlauf variiert stark, und das erschwert die Prognose.» Insbesondere der zytogenetische Befund (betreffend die Veränderungen der Chromosomen in den malignen Zellen) liefert hier Informationen. «Unser Ansatz ist eher grob. Das Ziel lautet, einen Zustand zu erreichen, in dem die Krankheit im Alltag nicht mehr die allererste Rolle spielt.»

Das Alter ist entscheidend

In der Erstlinientherapie, der Erstbehandlung nach der Diagnose, verabreicht das KSA immer Medikamente, ggf. ergänzt durch eine symptomatische Strahlentherapie. Am KSA wird zunächst geklärt, ob eine hochdosierte Therapie mit Stammzelltransplantation eine Möglichkeit ist. Diese hat im Zuge der Einführung neuer Medikamente in der Erstlinientherapie zu einem Anstieg der Vollremissionen geführt. Kriterien wie Herz-, Lungen- und Nierenfunktion müssen dabei berücksichtigt werden.

Das Wichtigste ist jedoch das biologische Alter. Die meisten Krankheitsfälle in beiden Geschlechtern treten zwar in der Altersgruppe von 70 bis 79 auf, der Krebs kann aber auch viel jüngere Menschen treffen. Eine obere Altersgrenze für eine hochdosierte Therapie mittels autologer Transplantation lässt sich schwer festlegen, allerdings schliessen verschiedene Risikofaktoren einen grossen Teil der Betroffenen von dieser Behandlung aus.

Es ist schwierig, das Multiple Myelom frühzeitig zu diagnostizieren. Oft verursacht es bis in ein fortgeschrittenes Stadium keine Symptome. Manchmal kommt es zu vagen Symptomen, die zunächst anderen Krankheiten zugeschrieben werden.
Es ist schwierig, das Multiple Myelom frühzeitig zu diagnostizieren. Oft verursacht es bis in ein fortgeschrittenes Stadium keine Symptome. Manchmal kommt es zu vagen Symptomen, die zunächst anderen Krankheiten zugeschrieben werden.

Sofortiger Beginn

«Bei manchen Patienten z. B. mit Niereninsuffizienz, beginnen wir bisweilen noch am selben Tag mit der Behandlung, in anderen Fällen können wir uns mit der abschliessenden Diagnose mehr Zeit lassen. Und bei einigen Patienten überwachen wir zunächst nur die Veränderungen, ohne gleich mit einer Therapie zu beginnen.» Bei Knochenbeteiligung und Hyperkalzämie (Kalziumüberschuss im Blut) wird jedoch immer sofort gehandelt. Die Aussicht, nach einer Stammzelltransplantation symptomfrei zu leben, ist für die Mehrheit der Behandelten realistisch.

«Studien zeigen, dass diese Therapie das progressionsfreie Überleben verlängert.» Wie lange ein Patient ohne Symptome leben kann, kann jedoch erheblich variieren. Während die Krankheit bei einigen Betroffenen bis zu zehn Jahre in Schach gehalten werden kann, kehrt sie bei anderen innerhalb eines Jahres zurück.

Die relative Zehnjahres-Überlebensrate liegt bei Männern bei 31 % und bei Frauen bei 30 %. Sabine Gerull setzt ihre Hoffnungen in die laufende Forschung: «Neue, wirksamere Therapien haben das Potenzial, diesen Zeitraum noch weiter zu verlängern.»

Ein leeres Spenderregister

Während die Zellen bei der autologen Transplantation vom Patienten selbst stammen, werden bei der allogenen Transplantation Zellen von gewebekompatiblen Personen verwendet. Die Wirksamkeit einer Fremdspende mit dieser intensiveren Behandlung und erhöhten Risikofaktoren lässt sich jedoch für die Behandlung des Multiplen Myeloms nicht garantieren.

Nach Angaben des Bundesamtes für Gesundheit erhalten in der Schweiz mehr Menschen Blutstammzellen von ausländischen Spendern als umgekehrt, da die Spendenbereitschaft in der Schweiz im Vergleich zu ihren Nachbarländern eher gering ist. Nach Ansicht von Sabine Gerull wäre es besonders wichtig, junge Männer als Spender zu gewinnen, da ihre Spenden mit einem geringen Komplikationsrisiko verbunden sind.

Erfolgsaussichten

In den letzten 15 Jahren wurde eine Reihe von Medikamenten für die Erstlinientherapie zugelassen. «Wo bisher nur zwei Medikamente kombiniert werden konnten, können wir nun vier verwenden.» Dies bietet den Ärzten mehr Möglichkeiten, insbesondere bei Rückfällen.

«Die Altersgruppe, für die eine Stammzelltransplantation nicht empfohlen wird, wird nun auch mit der Dreifach-Kombination gut verträglicher Medikamente behandelt», so Gerull. «Mittlerweile können wir diesen älteren Patienten eine progressionsfreie Zeit von mehreren Jahren versprechen – mit dem Unterschied, dass sie durchgehend in Behandlung bleiben.»

Gerull geht davon aus, dass die Kombinationsmöglichkeiten noch vielfältiger werden, sobald mehr über die Kompatibilität und Wirksamkeit der zusammen eingesetzten Medikamente bekannt ist.

Bei der Behandlung von Krebserkrankungen ist eine fachübergreifende Betreuung wesentlich. Deshalb diskutieren die KSA-Spezialisten aus verschiedenen Fachbereichen während des Tumorboards die bestmögliche Therapie für jeden Patienten.
Bei der Behandlung von Krebserkrankungen ist eine fachübergreifende Betreuung wesentlich. Deshalb diskutieren die KSA-Spezialisten aus verschiedenen Fachbereichen während des Tumorboards die bestmögliche Therapie für jeden Patienten.

Vielversprechende CAR-T-Zelltherapie

Eine der neuen Therapien, in die Sabine Gerull grosse Hoffnungen setzt, ist die CAR-T-Zelltherapie: Dank ihr können die genetisch manipulierten Zellen des Patienten die Myelomzellen angreifen.

Seit Juni 2021 gehört das KSA zu den wenigen Spitälern in der Schweiz, die sich für die CAR-T-Zell-Therapie qualifiziert haben. Diese Therapie wird zwar derzeit erst bei wenigen Patienten zur Behandlung des Multiplen Myeloms eingesetzt, aber die stellvertretende Chefärztin ist davon überzeugt, dass diese Therapie in Zukunft wesentlich häufiger zum Einsatz kommen wird.

Quellennachweis: Oncologycompass.ch 

Die Onkologie, Hämatologie und Transfusionsmedizin ist eine eigenständige Abteilung der Medizinischen Universitätsklinik. Die Abteilung besteht aus zwei eng zusammenarbeitenden und integralen Fachbereiche (Onkologie sowie Hämatologie) des interdisziplinären Onkologiezentrums Mittelland. Sie bietet sämtliche Dienstleistungen zur Vorsorge, Abklärung, Therapieplanung, Tumorbehandlung sowie Nachsorge von Krebserkrankungen an. Der Fachbereich Hämatologie und Transfusionsmedizin befasst sich ausserdem mit angeborenen und erworbenen nicht bösartigen Bluterkrankungen sowie mit Störungen der Blutgerinnung. Die fachärztliche Aus- und Weiterbildung betreiben beide Fachbereiche gemeinsam, ebenso wie die klinische Forschungsabteilung.

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