Hochkomplex mit verblüffendem Erfolg: Fazialischirurgie
20. April 2022Eine Gesichtslähmung hat oft gravierende Folgen für Betroffene. Was viele nicht wissen: Operationen können helfen, wichtige Funktionen wiederherzustellen – zum Teil mit verblüffenden Resultaten. Das Kantonsspital Aarau ist eines der wenigen Spitäler in der Schweiz, das mit der Fazialischirurgie diese Kompetenz anbietet.
- Autor / Autorin KSA
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Blinzeln, lächeln, essen, atmen: An all diesen Aktivitäten ist der Gesichtsnerv, der Nervus facialis, beteiligt. Ist dieser beschädigt, kommt es zu Gesichtslähmungen, der sogenannten Fazialisparese. Deren physische und psychische Folgen können gravierend sein: «Ist beispielsweise das Augenlid betroffen, droht auf längere Zeit die Erblindung», erklärt PD Dr. med. Holger Klein. Er ist Leitender Arzt für Plastische Chirurgie und Handchirurgie am Kantonsspital Aarau und Spezialist für Fazialischirurgie. Die Ursachen für eine Fazialisparese sind vielseitig und reichen von Virusinfektionen oder Unfällen über Tumoren und deren Entfernung bis hin zur Bestrahlung. In vielen Fällen ist die Ursache jedoch unklar (idiopathische Gesichtslähmung). Manchmal sind die Schädigungen auch angeboren. Was auch immer die Ursache ist: Eine gezielte Behandlung kann grosse Erfolge erzielen.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit
Kurz gesagt ist die Fazialischirurgie eine chirurgische Rekonstruktionsmethode zur Wiederherstellung einer Vielzahl von motorischen Gesichtsfunktionen. Dabei handelt es sich um ein hochkomplexes Zusammenspiel aus Nerven, Muskeln und Sehnen. Entsprechend braucht es viel Feingefühl und Fachwissen, um die richtige Behandlung zu finden. «Darum arbeiten wir im Kantonsspital Aarau eng mit Fachleuten aus verschiedenen Bereichen zusammen», erklärt Holger Klein. Die gute Nachricht: Eine Operation ist nicht immer nötig. «In manchen Fällen reicht eine fachspezifische Physiotherapie aus, damit sich Funktionen wieder richtig einspielen.» Ist eine operative Therapie notwendig, unterscheidet man zwischen der statischen und dynamischen Rekonstruktion. Die statische Rekonstruktion zielt darauf ab, die abgesackte und erschlaffte Haut an ihre ursprüngliche Position zu bringen, um eine gewisse Ruhesymmetrie zu erreichen, wie z.B. das Anheben der tiefer stehenden Augenbraue oder des hängenden Mundwinkels. Die deutlich komplexere dynamische Rekonstruktion hingegen macht sich die Reanimation (Wiederbelebung) der verlorengegangenen Gesichtsbewegungen zur Aufgabe . Welches der beiden Verfahren gewählt wird, hängt mitunter vom Alter des Patienten sowie dem zeitlichen Auftreten der Gesichtslähmung ab. «Bei Menschen über 70 Jahren ist eine statische Rekonstruktion häufiger, bei jüngeren Menschen bringen wir nach Möglichkeit das motorische System wieder zum Laufen», so Holger Klein. Je früher die Behandlung beginnt, desto besser: Nach 18 bis 24 Monaten lassen sich gelähmte Muskeln nicht mehr ansteuern, sodass neben der statischen Rekonstruktion die Transplantation eines Muskels vom Oberschenkel notwendig ist, um grundlegende Gesichtsbewegungen wiederherzustellen.
Gleiches mit Gleichem ersetzen
Ein allgemein geltendes Grundprinzip der plastischen Chirurgie lautet, Gleiches mit Gleichem zu ersetzen. Das gilt auch für die Fazialischirurgie: «Im Idealfall können wir Nerven, Muskeln oder Sehnen des Gesichts ‹umhängen›», beschreibt Holger Klein den Vorgang. «Oder wir transferieren Nerven und/oder Muskeln aus einem anderen Körperbereich wie dem Oberschenkel.» Mit konsequenten Übungen und gezielter Stimulation lernt das Gehirn anschliessend, die neuen Abläufe korrekt anzusteuern. Dabei ist die Erfolgsquote hoch: «Auch wenn wir nie ganz an den natürlichen Zustand herankommen, profitieren alle unsere Patienten und Patientinnen von der Behandlung», sagt Holger Klein. Und die Risiken? «Neben den üblichen Operationsrisiken kommt es vor, dass deie Nerven- oder Muskelregeneration nicht wie gewünscht funktioniert», so Holger Klein. «Das ist aber eher selten und betrifft vor allem ältere Patienten.» In den allermeisten Fällen gelingt die Rekonstruktion – mit zum Teil verblüffendem Erfolg: «Gerade bei Kindern und jungen Erwachsenen können aufgrund des hohen Regenerationspotentials annähernd perfekte Resultate erreicht werden – fast so wie sie die Natur geschaffen hat. Das ist besonders schön zu sehen, da beispielsweise das wiederhergestellte Lächeln eines Kindes unabdingbar für dessen soziale Interaktion und Weiterentwicklung ist.
Die Behandlung wirkt ein Leben lang
Trotz diesen Erfolgen sind die Möglichkeiten der Fazialischirurgie auch in Ärztekreisen nicht sehr bekannt. «Sogar in meiner eigenen Sprechstunde erlebe ich häufig Betroffene, die wegen etwas ganz anderem zu mir kommen», erklärt Holger Klein. «Darum wollen wir Patientinnen und Patienten und Fachleute besser über die Möglichkeiten der Fazialischirurgie aufklären.» Die Krankenkassen übernehmen in der Regel die Kosten für die Therapie. Mit gutem Recht: «Wenn das hochkomplexe Ensemble aus mimischer Muskulatur und Nerven wieder eingestellt ist, bleibt dies ein Leben lang erhalten.»
Fazialischirurgie am Kantonsspital Aarau
Der Schwerpunktder Fazialischirurgie am Aarauer Kantonsspital vereint hochwertige Infrastruktur und interdisziplinäres Fachwissen. Von der Diagnostik über die Operation bis zur Nachsorge finden Patientinnen und Patienten hier alles unter einem Dach. Die Schweizer Krankenkassen übernehmen in der Regel die Kosten einer operativen oder konservativen Fazialisbehandlung.