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Volksleiden Nummer 1: Rückenschmerzen

3. Mai 2024

Viele von uns werden im Verlauf des Lebens über einen längeren oder kürzeren Zeitraum von Schmerzen im Rücken geplagt. Das Behandlungsspektrum ist vielfältig, wobei konservative Optionen nach Möglichkeit die bevorzugte Wahl sind.

  • Autor / Autorin Dr. med. Lennart Sandig
  • Lesedauer ca. 5 Minuten
  • Themen Ratgeber
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Im Dezember 2023 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Richtlinie mit ausführlichen Hintergrundinformationen zu einem der wichtigsten gesundheitlichen Gründe für eine eingeschränkte Lebensqualität in der Schweiz und weltweit – den Rückenschmerzen. Rückenschmerzen, vor allem im Kreuz und der Lendenwirbelsäule oder im Nacken, betreffen laut dem letzten Rückenreport der Schweizer Rheumaliga aus dem Jahr 2020 rund 90 Prozent der Schweizer Bevölkerung, und laut WHO im selben Jahr 619 Millionen Menschen weltweit.

«Red Flags» als Warnung unbedingt beachten

Die Ursachen sind vielfältig und in den meisten Fällen sind die Rückenschmerzen harmlos, lassen sich gut mit konservativen Methoden wie regelmässiger Bewegung und leichten Schmerzmitteln behandeln und klingen schon nach wenigen Tagen bis Wochen ab. Wenn die Rückenschmerzen jedoch nach vier bis sechs Wochen keine wesentliche Besserung zeigen oder zusätzliche Warnzeichen, sogenannte «Red Flags» wie Gefühlsstörungen oder Lähmungserscheinungen an Armen und Beinen, ein allgemeines Krankheitsgefühl oder sogar Blasen- oder Darmfunktionsprobleme auftreten, sollte umgehend eine ärztliche Untersuchung erfolgen. Findet sich trotz weiterer Untersuchungen keine eindeutige Ursache, stehen zahlreiche Behandlungsmöglichkeiten wie Physiotherapie, spezielle Rückenschulen und unterschiedliche Medikamente zur Verfügung, die in den WHO-Empfehlungen aufgelistet und hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bewertet sind. Bei etwa 15 Prozent der Betroffenen kann eine eindeutige Ursache der Rückenschmerzen gefunden werden; Gründe für diese spezifischen Rückenschmerzen umfassen degenerative Veränderungen, rheumatische Erkrankungen oder Folgeerscheinungen von Erkrankungen an anderen inneren Organen. Häufig sind degenerative Veränderungen, also «Verschleisserscheinungen» an der Wirbelsäule verantwortlich für die Rückenschmerzen. Um zu verhindern, dass sich eine sogenannte «Schmerzgewöhnung» einstellt und die Betroffenen längerfristig mit bestehenden Schmerzen leben, wird auch in diesen Fällen aus einem breiten Repertoire an konservativen, also nicht operativen Behandlungsmöglichkeiten geschöpft. Bleiben auch diese ohne wesentlichen Therapieerfolg, sind seit vielen Jahren sogenannte Schmerzinfiltrationen gang und gäbe. Hierbei werden Schmerzmedikamente und entzündungshemmende Medikamente ziel- und millimetergenau an der schmerzenden Stelle injiziert. An der Wirbelsäule erfolgt dies meistens bildgesteuert in der Computertomographie – hierbei kann der Arzt durch die Bildkontrolle permanent die Lage der dünnen Nadel, mit der die Schmerzmittel injiziert werden, überprüfen. Am Ende der Behandlung kann sicher kontrolliert werden, dass alles korrekt funktioniert hat und eine möglichst grosse Menge des Wirkstoffes am Zielort angekommen ist. Dadurch ist dieses Verfahren extrem sicher, sehr effektiv und erlaubt gleichzeitig auch eine diagnostische Aussage, ob man den Urheber der Schmerzen gefunden hat.

Behandlung dauert zwischen 20 und 30 Minuten

Die Behandlung dauert etwa 20 bis 30 Minuten inklusive der Vorbereitung und der abschliessenden Bildkontrolle. In der Radiologie am Spital Zofingen wird diese Art der minimalinvasiven, schonenden Therapie an den Iliosakralgelenken, der Lendenwirbelsäule und neuerdings auch an der Halswirbelsäule durchgeführt. Durch modernste Technik und spezielle Einstellungen an den CT-Geräten erfolgen die Schmerzinfiltrationen mit einer minimalen Dosis an Röntgenstrahlen und damit mit dem höchstmöglichen Mass an Patientensicherheit.In den meisten Fällen bessern sich die Beschwerden der Patientinnen und Patienten direkt im Anschluss der Behandlung und sie können nach kurzer Wartezeit umgehend nach Hause entlassen werden. Häufig lassen sich die Rückenschmerzen so auch mittel- und langfristig verbessern und somit die Lebensqualität der Betroffenen deutlich aufwerten. Sollte sich keine Besserung einstellen, bleiben noch unterschiedliche chirurgische Eingriffe als weitere Therapiemöglichkeiten. Diese sind teilweise allerdings auch schon früher notwendig, wenn beispielsweise Lähmungserscheinungen als Warnzeichen auftraten und ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert wurde.Das Spital Zofingen bietet eine ganze Bandbreite von Behandlungsmöglichkeiten. Die Radiologie steht Patientinnen und Patienten dabei für bildgebende Untersuchungen und Schmerzinfiltrationen zur Verfügung.

Interview: «Das Ziel ist immer, eine Operation zu vermeiden»

Können Bandscheibenvorfälle mit Schmerzinfiltration geheilt werden? Antworten auf diese und weitere Fragen hat Dr. Jürgen Fornaro:

Jürgen Fornaro, was ist bei der Diagnostik von Rückenschmerzen wichtig? Jürgen Fornaro: Diagnostik und Behandlung sollten interdisziplinär und interprofessionell erfolgen, in einer Zusammenarbeit von Hausärzten, Rheumatologen, Orthopäden, Wirbelsäulenchirurgen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Radiologen. Das Ziel ist immer, eine Operation zu vermeiden und sämtliche verfügbaren konservativen Methoden auszuschöpfen, wie Physiotherapie, Schmerzmedikation und die radiologisch durchgeführte Schmerzinfiltration.

Ist Krafttraining tatsächlich die beste vorbeugende Massnahme gegen Rückenschmerzen, wie viele Experten sagen? Bei leichten bis mittelschweren Beschwerden stehen Physiotherapie, allfällige Lifestyle-Anpassungen (zum Beispiel eine Gewichtsabnahme, mehr körperliche Aktivität im Alltag), Ergotherapie (zum Beispiel Haltungsanpassungen am Arbeitsplatz bei Büroangestellten) und die Schmerzmedikation im Vordergrund. In Studien wurde gezeigt, dass die Stärkung der Rückenmuskulatur die Wirbelsäule stabilisiert und damit die Bandscheiben entlastet, was Rückenschmerzen vorbeugen und deren Intensität bei bestehenden Schmerzen verringern kann.

Rückenschmerzen sind das Ergebnis von Verschleisserscheinungen; Dr. Fornaro, was fördert solchen Verschleiss in besonderem Ausmass? Berufliche Tätigkeiten wie langdauerndes Sitzen oder das Heben schwerer Lasten – insbesondere bei Fehlhaltung – wie auch Übergewicht können die Bandscheiben und Gelenke der Wirbelsäule chronisch überlasten und damit zu das Altersmass übersteigenden Verschleisserscheinungen führen.

Welche Sportarten sind für Menschen mit Rückenbeschwerden ratsam, welche sollten sie eher meiden? Ratsam sind zum Beispiel Schwimmen, durch einen Physiotherapeuten oder eine Physiotherapeutin angeleitete Rückengymnastik oder Yoga. Zu vermeiden sind Sportarten, die die Wirbelsäule zumindest zeitweise überlasten: Gewichtheben, Fussball, Handball, Tennis oder Golf. Natürlich sind auch langzeitige sitzende Tätigkeiten zu vermeiden die die Rückenmuskulatur schwächen.

Muss die Schmerzinfiltration in manchen Fällen auch mehrfach angewandt werden, bis Besserung eintritt? Und wie viele Infiltrationen sind maximal möglich und sinnvoll? Durch die radiologisch gesteuerte zielgenaue Applikation von Kortison hat dies eine optimale lokale Wirkung, während im Regelfall nur ein vernachlässigbarer Anteil des Medikaments in den Körperkreislauf gelangt. Die Wirkungsdauer des Kortisons beträgt rund vier Wochen, eine Schmerzinfiltration wird bei Bedarf im Normalfall bis zu drei Mal durchgeführt, in Ausnahmefällen auch häufiger.

Können so Bandscheibenvorfälle auch geheilt werden? Wichtig ist zu verstehen, dass beim Bandscheibenvorfall mit der Schmerzinfiltration nicht der Bandscheibenvorfall selbst behandelt wird, sondern die umgebende Entzündungsreaktion. Diese löst nämlich eine Gewebeschwellung aus, die die Nerven zusätzlich zum Bandscheibenvorfall bedrängt und damit die Schmerzen verstärkt. Glücklicherweise aber haben die meisten Bandscheibenvorfälle eine spontane Rückbildungstendenz. Es handelt sich damit bei der Schmerzinfiltration im Rahmen von Bandscheibenvorfällen um eine reine Schmerztherapie, die die Zeit bis zur Rückbildung des Bandscheibenvorfalls überbrückt und die die Einnahme von potenziell Magenbeschwerden verursachenden Schmerzmedikamenten verringert.

Wie stehen die Erfolgsaussichten einer Infiltration bei Rückenschmerzen? Diese hängen einerseits von der richtigen Indikationsstellung ab und andererseits von der Zielsetzung: Geht es primär um eine Schmerzlinderung oder um die Vermeidung einer Operation? Es konnte in Studien bestätigt werden, dass bei korrekter Indikationsstellung in bis zu 90 Prozent der Patienten eine signifikante Schmerzreduktion erzielt werden kann. In schwereren Fällen kann die Schmerzreduktion die Mobilität wieder herstellen und ermöglicht damit andere konservative Therapiemethoden wie Physiotherapie. Eine Operation kann so bei der Mehrzahl der Patientinnen und Patienten vermieden werden. Verschlechtern sich im Laufe der Behandlung die Symptome aber oder treten sogar Lähmungserscheinungen auf, so müssen operative Optionen diskutiert werden.

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