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Man kommt nicht allergisch auf die Welt

5. November 2022

Antibiotika und Schmerzmittel zählen zu den häufigsten Auslösern einer Medikamentenallergie. Mehr zu Symptomen, Diagnose und Therapie erfahren Sie im Interview mit KSA Expertin PD Dr. med. Kathrin Scherer, Leiterin Allergologie.

  • Autor / Autorin Andreas Krebs
  • Lesedauer ca. 5 Minuten
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Pollen- und Nahrungsmittelallergien sind in den Medien omnipräsent. Von Medikamentenallergien hingegen liest und hört man selten. Wie oft sind Sie damit konfrontiert?

Wir klären mehrere Verdachtsfälle pro Tag ab. Am häufigsten sind Allergien gegen Antibiotika. 10 bis 20 Prozent der KSA Patientinnen und Patienten sind davon betroffen.

Gibt es weitere Medikamente, bei denen das Risiko erhöht ist?

Grundsätzlich kann jedes Medikament eine Allergie auslösen. Zu den häufigsten Auslösern gehören neben Antibiotika Schmerzmittel, Antiepileptika, Röntgenkontrastmittel sowie Narkosemittel. Zudem hängt das Risiko auch davon ab, wie ein Wirkstoff verabreicht wird. Am geringsten ist die Gefahr bei Tabletten, Säften und Tropfen. Höher ist das Risiko bei Injektionen und Infusionen.

Gibt es Menschen, die besonders häufig betroffen sind, etwa Pollenallergiker?

Interessanterweise sind die klassischen Allergiker nicht öfters von einer Medikamentenallergie betroffen. Hingegen haben Menschen, die häufig Medikamente einnehmen, ein etwas erhöhtes Risiko. Insbesondere wenn man Medikamente öfters an- und absetzt, steigt das Risiko einer Sensibili-sierung. Beim erneuten Kontakt stürzen sich die Antikörper auf die vermeintlich gefährlichen Fremdstoffe. Spezifische Zellen, die sogenannten Mastzellen, schütten daraufhin Histamin aus. Und dieses löst die allergischen Beschwerden aus.

Problematisch sind also weniger die Medikamente, die man täglich einnimmt, etwa Blutdrucksenker, als jene, die man sporadisch nimmt, wie eben Antibiotika oder Schmerzmittel?

Korrekt. Oft haben die Betroffenen das entsprechende Antibiotikum oder Schmerzmittel zuvor schon öfters problemlos eingenommen. Und plötzlich reagieren sie allergisch darauf. Man kommt eben nicht allergisch auf die Welt. Vielmehr erlernt man die Allergie aufgrund einer falschen Entwicklung im Immunsystem. Und dann gibt es auch noch die klassischen Nebenwirkungen und die sogenannten Pseudoallergien. Beide lassen sich oft nur schwer abgrenzen von der Allergie.

Was sind Pseudoallergien?

Bei der Pseudoallergie treten allergieähnliche Symptome und Reaktionen auf, ohne dass das Immunsystem eine Rolle spielt. Schmerzmittel wie Ibuprofen gehören zu den häufigsten Auslösern von Pseudoallergien. Man kann sie in sehr niedriger Dosis manchmal noch anwenden. Medikamente, die echte Allergien auslösen, muss man hingegen konsequent meiden.

Medikamentenallergien werden meist von häufig verabreichten Arzneimitteln ausgelöst.

Was, wenn das Medikament nicht ersetzt werden kann, etwa wenn einem an Krebs erkrankten Menschen nur ein bestimmtes Chemotherapeutikum hilft?

Das kommt zum Glück selten vor. Man kann dann versuchen, eine Toleranz auszubilden. Das ist sehr aufwendig. Es dauert lange, mitunter ein, zwei Wochen, und braucht viel Überwachung. Die Patientin oder der Patient verträgt dann das Medikament für eine gewisse Zeit. Doch die Toleranz geht wieder verloren. Eine Hyposensibilisierung mit anhaltendem Effekt wie bei der Pollenallergie ist bei Medikamentenallergien nicht möglich.

Und wie äussert sich eine Medikamentenallergie?

Am häufigsten kommt es zu Reaktionen der Haut: Ausschlag, Juckreiz, Schwellungen der Schleimhäute sowie Ödeme. Man unterscheidet Allergien vom Soforttyp, etwa den anaphylaktischen Schock, und solche, die erst nach Tagen oder gar Wochen auftreten. Bei Letzteren ist oft nicht nur die Haut betroffen, sondern auch innere Organe. Verzögerte systemische Allergiesymptome sind manchmal schwierig zu behandeln. In den allermeisten Fällen aber verschwinden die Symptome, etwa der Hautausschlag, wenn man das Medikament absetzt, innert ein bis zwei Wochen.

Die meisten Medikamentenallergien sind also nicht schwerwiegend?

Sie sind unangenehm, aber meist nicht bedrohlich. In den seltensten Fällen geht es mit einer schweren Anaphylaxie los. Wenn man rechtzeitig reagiert, kann man in vielen Fällen die schwere Reaktion vermeiden.

Auf die leichte Schulter sollten Betroffene eine Medikamentenallergie also nicht nehmen?

Richtig! Man soll auch leichte Symptome ernst nehmen und mit der Hausärztin oder dem Hausarzt besprechen. Nebenwirkungen und vermeintliche allergische Reaktionen sollten Betroffene rapportieren: Wann nach der Einnahme des Medikaments ist was passiert? Wie viele Tage hat man das Medikament schon genommen? Auch Fotos des Ausschlags gehören dazu. Das Geschehen möglichst gut zu dokumentieren, hilft bei der Abklärung.

Diese ist, wie Sie erläutert haben, sehr aufwendig und wird am besten durch eine Spezialistin oder einen Spezialisten wie hier im KSA Bahnhof Aarau durchgeführt. Was ist für Betroffene noch wichtig zu wissen?

Die Abklärung sollte man nicht vor sich herschieben. Unsere Tests sind aussagekräftiger, wenn man sie bald, d. h. binnen sechs Monaten nach Auftreten der Reaktion macht.

Penicillin-Allergie – Diagnose wird zu oft gestellt

Etwa jeder zehnte Mensch in der Schweiz, heisst es, reagiere allergisch auf das besonders häufig verabreichte Antibiotikum Penicillin. Studien zufolge haben jedoch nur ein bis zehn Prozent der vermeintlichen Betroffenen eine echte Penicillin-Allergie. Das deckt sich mit den Erfahrungen von PD Dr. med. Kathrin Scherer. Der Grund: Penicillin wird häufig bei Erkrankungen verabreicht, die einen Ausschlag auslösen können. Es sei dann oft unklar, ob dieser vom Infekt kommt oder vom Medikament, so Scherer. Das Problem: «Man verschreibt dann Antibiotika, die weniger wirksam sind,
mehr Nebenwirkungen machen oder die es nicht in Tablettenform gibt, sodass die Patientin oder der Patient stationär behandelt werden muss, was viel zeitaufwendiger und teurer ist.»

Dermatologie und Allergologie

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