Blog

«KI schafft Zeit für mehr Menschlichkeit»

17. Mai 2024

Künstliche Intelligenz (KI) wird auch in der Medizin immer wichtiger. Wieso, erklären zwei Pioniere des Kantonsspitals Aarau.

  • Autor / Autorin Andreas Krebs
  • Lesedauer ca. 5 Minuten
Teilen

Herr Schindera, als Chefarzt des Instituts für Radiologie haben Sie im KSA die ersten KI-Anwendungen eingeführt. Wieso?

Schindera: Weil ich sehr früh den Mehrwert der künstlichen Intelligenz (KI) für die Radiologie erkannt habe. Die Radiologie ist prädestiniert für KI-Anwendungen, da wir Unmengen an Daten haben.

Burn: Wir waren früh visionär unterwegs. 2017 entwickelten wir im Rahmen eines Forschungsprojekts in der Radiologie die ersten KI-Algorithmen. 2018 führten wir den ersten KI-Algorithmus im klinischen Alltag ein – ein Tool, das Brustkrebserkrankungen entdecken kann. So konnten wir uns in kleinen Schritten herantasten und Kompetenzen im Umgang mit KI erwerben. Das war matchentscheidend, denn es braucht Erfahrung, um KI-Anwendungen zu entwickeln und sinnvoll zu implementieren.

Manche meinen KI berge mehr Gefahren als Chancen. Wo sehen Sie Risiken?

Burn: KI braucht den Kontext, also sinnvolle Zusammenhänge. Der Mensch kann diese durch Ausbildung und Erfahrung selbst herstellen. Das kann die KI nicht oder bisher nur mangelhaft. Ein weiteres Risiko ist, dass KI systematische Fehler generieren kann. Es braucht deshalb sehr viel Expertise, damit KI gut funktionieren und sicher angewendet werden kann.

Schindera: Wir sind ein grosses Weiterbildungsinstitut mit 20 Assistenzärztinnen und -ärzten, die bei uns zur Radiologin bzw. zum Radiologen ausgebildet werden. Es besteht die Gefahr, dass sich die jungen Kolleginnen und Kollegen zu sehr auf KI-Lösungen verlassen und sie so Kompetenzen erst gar nicht erlernen oder diese sogar verloren gehen. Unsere Aufgabe ist es, künftige Radiologinnen und Radiologen auszubilden und zu befähigen, dass sie KI-Lösungen beurteilen respektive kritisch hinterfragen können. Das ist eine grosse Herausforderung.

KI muss verantwortungsbewusst eingesetzt werden. Welche Anwendungen nutzen Sie bereits?

Schindera: In der Radiologie des KSA haben wir diverse KI-Lösungen im Einsatz, wie z.B. zur Erkennung von Lungen-Rundherden, zur Diagnose eines Verschlusses von Lungengefässen durch ein Blutgerinnsel (Lungenembolie), zur automatischen Auswertung von CT-Untersuchungen beim Verdacht auf eine Hirnblutung oder einen Schlaganfall sowie zur Erkennung von Knochenbrüchen im Röntgen.

Burn: KI-Lösungen sind unermüdlich und können oft exaktere und schneller Ergebnisse ermöglichen. Ihr Einsatz muss jedoch immer hinterfragt werden: Ist eine Lösung nachhaltig sinnvoll? Hilft sie, das Leben von Patientinnen und Patienten zu verlängern oder ihre Lebensqualität zu verbessern? Kann KI das ­Gesundheitswesen bei anhaltendem Kostendruck effizienter machen?

Werden die Mitarbeitenden bald überflüssig?

Schindera: Auf keinen Fall. Radiologinnen und Radiologen wird es auch zukünftig geben. Die Ergebnisse, die eine KI-Lösung beschreibt, müssen durch die Radiologin bzw. den Radiologen in den klinischen Gesamtkontext eingeordnet werden. KI kann uns aber z.B. bei repetitiven Aufgaben sehr gut unterstützen. So werden Ressourcen von hochspezialisierten Mitarbeitenden frei, die wiederum vermehrt ihre Zeit dort einsetzen können, wo KI keine Rolle spielt – z.B. in der Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten, wo es Empathie und Spezialwissen braucht.

Burn: Andererseits werden wir immer stärker auf KI angewiesen sein, wenn wir dem demografischen Wandel und dem Bevölkerungswachstum Rechnung tragen wollen. Ohne KI werden wir den wachsenden Bedarf an bildgebenden Verfahren in den kommenden Jahrzehnten nicht decken können.

Schindera: Die Frage ist nicht: KI ja oder nein?, sondern: Wie viel KI werden wir künftig wo einsetzen müssen?

Was sagen Sie zu Kritikerinnen und Kritikern, die eine Entmenschlichung der Medizin durch KI befürchten?

Burn: Das Gegenteil müsste der Fall sein. Wenn wir verantwortungsbewusst vorgehen, wird der Einsatz von KI die Medizin noch menschlicher machen. Sonst machen wir etwas falsch.

Schindera: KI schafft Zeit für mehr Menschlichkeit. Weil die KI administrative Tätigkeiten übernehmen kann, sehe ich grosses Potenzial, dass wieder mehr Zeit für Patientengespräche zur Verfügung steht.

Ihre Ansprechspersonen:

Bei Fragen dürfen Sie gerne mit uns Kontakt aufnehmen.

Weitere Informationen finden Sie hier:

Radiologie

Autor / Autorin