Ist man irgendwann zu alt für Operationen?
20. Januar 2020Operationen sind schonender geworden und auch bis ins hohe Alter möglich. Was es dabei zu beachten gibt, erklärt Mark Hartel, Chefarzt der Klinik für Chirurgie am KSA.
- Autor / Autorin Prof. Dr. med. Mark Hartel
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Herr Hartel, die Lebenserwartung hat sich im letzten Jahrhundert verdoppelt. In der Schweiz werden Männer im Durchschnitt 80,1 und Frauen 84,5 Jahre alt. Was bedeutet das für Sie als Chirurg?
Mark Hartel: Wir müssen uns darauf einstellen. Ältere Menschen haben mehr Erkrankungen: Je länger man lebt, umso eher kann mal ein Tumor auftreten. Das gilt auch für Leistenbrüche, Lungen- und Herzerkrankungen, Hüftersatz etc. Die Patientenzahlen nehmen also zu, insbesondere jene von älteren und alten Leuten.
Ab wann ist man denn alt?
Es gibt das chronologische und das biologische Alter, und da gibt es enorme Diskrepanzen. Sie kennen das sicher, man sagt dann z. B., der sieht 20 Jahre jünger aus, als er ist. Immer mehr alte Menschen bleiben länger gesund und vital und sind damit biologisch jünger. Bei ihnen kann man heute dank all der medizinischen Fortschritte selbst grosse Operationen durchführen, wie beispielsweise an der Leber. Für uns Chirurgen ist also das biologische Alter relevant.
Ist man irgendwann zu alt, um operiert zu werden?
Eben nicht. Ich habe jüngst eine 99-jährige bayrische Tennismeisterin am Pankreaskarzinom operiert, die nach zehn Tagen heimgehen konnte. Sie sah aus wie 70, war aber 99. Andererseits gibt es Menschen, die mit 50 Jahren körperlich so beeinträchtigt sind, dass sie nicht mehr operiert werden können. Es ist also immer eine individuelle Entscheidung. Mit jedem Patienten, jeder Patientin muss diese Frage ganz genau abgeklärt werden. Neben einer guten Anamnese sind dabei auch Auskünfte des Hausarztes und der Familienangehörigen wichtig. Sie können Informationen geben, wie sich der Gesundheitszustand einer Person über eine längere Zeit entwickelt hat.
Sie haben eingangs den Leistenbruch erwähnt. Immer häufiger sollen Patienten ambulant behandelt werden, so auch bei der Hernie. Ist das ein Problem bei älteren Patientinnen und Patienten?
Heute kann ein Leistenbruch auch unter Lokalanästhesie operiert werden, was eine ambulante Behandlung begünstigt. Diese Technik wird heute verhältnismässig selten eingesetzt, bringt aber, gut anwendet, für die Patienten viele Vorteile. Er bekommt dann keine Vollnarkose, sondern wird für den Leistenschnitt nur mit der Spritze lokal betäubt. Direkt nach der Operation ist er wieder mobil und das Gehirn ist unbeeinflusst. Für ältere Menschen ist das ein entscheidender Vorteil. Deshalb sollten insbesondere sie von dieser Technik profitieren und Leistenoperationen ohne Vollnarkose angeboten bekommen.
Muss denn eine Hernie überhaupt operiert werden? Gerade bei älteren Menschen wird ja häufig davon abgeraten.
Das höre ich oft. Doch ein Leistenbruch ist eine klare Indikation zum Operieren. Denn ein nicht operierter Bruch kann gravierende Folgen haben, wie etwa Einklemmung und/oder Durchbruch des Darmes. Beides sind schwerwiegende Komplikationen, die eine Notoperation erfordern, und diese gilt es zu verhindern, besonders in höherem Alter. Eine rechtzeitig geplante und zugleich schonende Operation ist einer Notoperation immer vorzuziehen. Zumal mit der vorhin beschriebenen Technik eine ausgezeichnete, schonende Operationsmöglichkeit besteht. Wichtig ist, dass die Möglichkeiten besprochen werden und dass zwischen Hausarzt, Patient und Chirurg ein guter Austausch stattfindet. Als Alternative zur eben genannten Technik gibt es die minimalinvasive OP. Diese verlangt aber eine Vollnarkose. Die Operationsergebnisse selber sind bei beiden Verfahren gleich.
Ansonsten ist aber minimalinvasiv als Operationstechnik vorzuziehen, oder?
Wichtig ist, schonend zu operieren. Das kann man heute auch bei einer offenen Operation. Wann immer möglich, operiert man zwar minimalinvasiv. Bei manchen Patienten ist eine minimalinvasive Schlüssellochoperation aber belastender als eine offene Operation. Beispielsweise für Hochrisikopatienten in hohem Alter, etwa mit schlechter Herz- und Lungenfunktion. Denn dabei bläst man den Bauch so auf, dass dies druckbedingt negative Folgen auf Herz und Lunge haben kann. Es gibt heute Instrumente, die z. B. bei der Leberchirurgie zum Einsatz kommen, die ein sehr schnelles und schonendes offenes Operieren zulassen. Dabei ist auch der Chirurg ein wichtiger Faktor. Geplant kann man daher, wenn man den Patienten sorgfältig abgeklärt hat und er narkosefähig ist, auch gut grosse, schonende Operationen bis ins hohe Alter machen.
Sie haben die Leberchirurgie erwähnt. Können Sie diese noch etwas genauer erklären?
Die Leberresektion gehört zu den grossen Operationen, die sehr belastend sind. In 95 Prozent der Fälle handelt es sich bei Lebertumoren um Metastasen von Dickdarmtumoren, die man sehr gut operieren kann. Am KSA verwenden wir dazu eine relativ neue Technik mit einem Klammernahtgerät. Dies verkürzt die Operationszeit gravierend und der Patient verliert weniger Blut als bei früheren Techniken. Gerade ältere Patienten profitieren von dieser schonenden Technik, die sich in einerbesseren Leberfunktion und besserer Rekonvaleszenz äussert.
Was gilt es sonst noch zu beachten bei der Operationsvorbereitung?
Was sehr wichtig ist und heute immer noch zu kurz kommt, ist die körperliche Vorbereitung auf die OP. Das Training der Lunge und des Herzens lässt Patienten rascher genesen und verringert Komplikationen. Auch die Ernährung spielt eine wichtige Rolle, gerade bei Tumorpatienten. Für ältere Menschen gibt es entsprechende Vorbereitungsprogramme. Sie erfordern aber vom Patienten Zeit und Willen. Diese Art Vorbereitung auf eine OP ist allgemein noch nicht optimal gelöst. Das möchte ich in Zukunft einführen. Als grosses Zentrumsspital haben wir alle nötigen Disziplinen vor Ort und damit ideale Voraussetzungen.
Das eigentliche Problem für ältere und gebrechliche Patienten ist oft die Nachsorge, insbesondere ein längerer Krankenhausaufenthalt mit langer Bettruhe. Was braucht es für eine rasche Mobilisierung?
Das sogenannte Fast-Track-Programm ist ein ganz wichtiger Punkt. Insbesondere alte Patienten müssen schnell wieder aufstehen, damit sie beispielsweise keine Lungenentzündung entwickeln. Sie werden heute deshalb schnell mobilisiert, so sinkt auch das Embolie- und Thrombose-Risiko. Durch intensive Physiotherapie und Atemgymnastik können die Patienten besser durchatmen. Auch die Kost wird schnell aufgebaut. Die Patienten können meist schon am Tag nach der Operation wieder essen und trinken. Zudem werden bei den OP immer weniger Drainagen und Katheter gelegt, was die Patienten ebenfalls mobiler macht.
Sie haben Studien mit wassergefiltertem Infrarotlicht (wIRA) zur Wundbehandlung durchgeführt. Können Sie diese erläutern?
Vor und nach einer OP wird das entsprechende Gewebe mit wIRA bestrahlt. Dieses ist dem Sonnenlicht nachempfunden, wärmt das Gewebe besonders in den tieferen Schichten bis drei Zentimeter auf und regt dadurch die Durchblutung an. So konnten wir die Wundheilungsstörungen um bis zu 50 Prozent reduzieren. Auch die postoperativen Schmerzen werden durch das wassergefilterte Infrarotlicht gelindert. Das Verfahren wird bei uns standardmässig eingesetzt.
Viszeralchirurg Mark Hartel: «Ich möchte, dass man die Patienten besser auf eine OP vorbereitet.»
Prof. Dr. med. Mark Hartel (58) wurde zwischen 2013 und 2016 vom deutschen Nachrichtenmagazin «Fokus» zu einem der besten Viszeralchirurgen Deutschlands gewählt. Seit dem 1. Juli 2016 ist er Chefarzt der Klinik für Chirurgie und Leiter des Darm- und des Pankreaszentrums des KSA. Die Viszeralchirurgie umfasst Erkrankungen und Fehlbildungen der Eingeweide, die man durch eine Operation behandeln kann. Hartel ist Spezialist für grosse und komplexe Operationen, wie etwa Leber- oder Darmkrebsoperationen. «Solch komplizierte, mehrstündige Eingriffe sollten nur in eigens dafür zertifizierten Organkrebszentren wie am KSA durchgeführt werden», betont Mark Hartel.