Kinderonkologie: Die ganze Familie im Blick
4. November 2024Schweizweit umfasst das Netzwerk der PDAG über 90 Kooperationen. Eine davon ist der Liaisondienst auf der Kinderonkologiestation des Kantonsspitals Aarau (KSA). Dr. med. Jeanette Greiner, Leitende Ärztin Pädiatrische Onkologie-Hämatologie, zeigt auf, wie die Familien von der Zusammenarbeit profitieren.
- Autor / Autorin Dr. med. Jeanette Greiner
- Lesedauer ca. 4 Minuten
Frau Greiner, was schätzen Sie an der Kooperation mit den PDAG?
Die Psychoonkologie ist ein untrennbarer Bestandteil der Gesamtbetreuung. Am KSA sind die beiden zuständigen Psychologinnen zwar nicht direkt angestellt, sie gehören jedoch als sogenannter Liaisondienst zum Team, indem sie vom KSA «eingekauft» werden. Diese Zusammenarbeit ist unerlässlich und funktioniert reibungslos. Unser Ziel ist eine ganzheitliche Betreuung, die keine Trennungen oder Hierarchien kennt – ob zwischen Medizin, Pflege oder Psychologie. Da wir eine kleine Abteilung mit kurzen Wegen sind, ermöglicht dies eine unkomplizierte und enge Zusammenarbeit.
Wann beziehen Sie die Psychologinnen in die Therapie mit ein?
Der Kontakt wird so früh wie möglich, bei einer neuen Tumordiagnose oft schon im Erstgespräch, hergestellt. Uns ist wichtig, dass die Psychoonkologie von Anfang an als fester Bestandteil der Betreuung wahrgenommen wird.
Wieso ist das so wichtig?
Eine onkologische Diagnose stellt nicht nur eine körperliche, sondern auch eine psychische Belastung dar und kann eine existenzielle Krise für die gesamte Familie auslösen. Die Angst, ein Kind zu verlieren, ist für Eltern erdrückend. Daher ist die Unterstützung durch die Psychoonkologie unerlässlich, auch für Geschwister.
Welche langfristigen psychischen Folgen können bei den Familien auftreten?
Ein erwachsener Mann berichtete mir, dass sein Bruder seine Krebsdiagnose erhielt, kurz nachdem die beiden Teenager einen Streit hatten. Im weiteren Verlauf ist er an seiner Erkrankung verstorben. Auch heute ist der Mann immer noch von Albträumen und Schuldgefühlen geplagt. Das zeigt, wie wichtig es ist, die psychischen Auswirkungen auf alle Familienangehörigen ernst zu nehmen.
Neben der Angst vor dem Tod: Was belastet die jungen Patientinnen und Patienten?
Die Ängste variieren je nach Alter. Zum Beispiel belastet Haarausfall, eine häufige Nebenwirkung der Krebstherapie, Teenager und besonders Mädchen stärker. Interessanterweise empfinden Väter den Haarausfall oft anfangs schlimmer als Mütter. Doch viele Jugendliche arrangieren sich schnell mit der Situation, und der Haarverlust wird als eines der kleineren Probleme wahrgenommen und die Perücke landet oft ungenutzt im Schrank.
Können Sie weitere Beispiele nennen?
Eine junge Patientin mit einer komplexen Diagnose und psychosozial herausfordernden Verhältnissen hatte massive Kopfschmerzen und extreme Angst vor Spritzen. Dank der intensiven Zusammenarbeit mit der Psychoonkologie konnte das Mädchen eine deutliche Entspannung erfahren – sowohl die körperlichen Symptome als auch die Ängste wurden erfolgreich behandelt. Die positive Veränderung war nicht nur beim Mädchen selbst, sondern auch bei der Mutter spürbar, die ebenfalls stark entlastet wurde.
Was passiert, wenn die psychoonkologische Behandlung nicht ausreicht?
Dadurch, dass Dr. Lisa Timpe* ebenfalls häufig im KSA ist, können die Psychologinnen Daniela Lehmann und Carmen Bosshard bei Bedarf schnell psychiatrische Unterstützung anfordern, zum Beispiel für die Verschreibung von Medikamenten oder bei psychotischen Zuständen eines Kindes. Dank der engen Zusammenarbeit gelingt dies schnell und ohne lange Formalitäten.
Sind weitere gemeinsame Projekte mit den PDAG geplant?
Ja, wir arbeiten an einem integrativmedizinischen Angebot für Kinder. Hier besteht ein Kontakt mit Dr. Linda von Ribbeck**. Erste Erfolge gab es bereits bei einigen Patientinnen und Patienten. Unser Wunsch ist es, einen integrativmedizinischen Konsiliardienst zu entwickeln, der eng mit der Psychoonkologie und dem gesamten Team.
*Leitung Medizin und Therapie, Zentrum für Konsiliar-, Liaisondienst und aufsuchende Angebote der KJP
**Fachleitung Psychosomatik, KJP
Quelle: Der Artikel wurde im Mitarbeitermagazin der PDAG publiziert.
Enge Zusammenarbeit
Die Diagnose Krebs stellt die Welt der betroffenen Kinder und ihrer Angehörigen auf den Kopf. Umso entscheidender ist die enge Kooperation zwischen Medizin und Psychoonkologie. Jeanette Greiner pflegt und schätzt den regelmässigen Austausch mit Daniela Lehmann (rechts im Bild) und Carmen Bosshard, den zwei Psychologinnen der PDAG, deshalb sehr.